Vielleicht ist die Advents- und Weihnachtszeit eine gute Gelegenheit, mal wieder über diese Tatsache nachzudenken. Mal wieder, denn schon Laotse hat sie vor rund 2.500 Jahren im „Tao Te King“ dargestellt und seither schrieben und schreiben unendlich viele weitere Weise und Philosophen aller Kulturen darüber: Wir Menschen sind nur Gast auf Erden.
Wenn ich von Freunden zu einem gemütlichen Abendessen eingeladen werde, bin ich Gast bei ihnen. Ich betrete ihre Wohnung und richte mich nach ihren Gewohnheiten. Vielleicht ist es angemessen, die Straßen- gegen Hausschuhe zu wechseln, vielleicht auch nicht. Ich bin so zurückhaltend, wie ihre Art es vorgibt, und so offensiv, wie sie gestimmt sind. Ich schaue mich um und entdecke Bilder und Deko-Artikel, die mir vielleicht mehr oder weniger gefallen – es ist ja nicht mein Zuhause, sondern das Ihre, in dem sie sich wohlfühlen wollen. Worte der Anerkennung dazu sind auf jeden Fall willkommen. Ich genieße das Essen, das mit Sorgfalt und Liebe vorbereitet worden ist, und es fällt mir leicht zu sagen, wie gut es mir schmeckt. Vielleicht gibt es jedoch auch Gänge, die mir nicht munden oder die ich nicht vertrage – dann erkläre ich, dass es mir leid tue und weshalb ich darauf verzichte. Die Reaktionen waren in solchen Fällen bislang stets verständnisvoll.
Wenn ich Gast bei Freunden bin, richte ich mich also nach ihnen und nehme Rücksicht auf sie. Meine Freunde sind jedoch auch, genauso wie ich selbst, Gäste – Gäste auf dieser unserer Erde. Wir haben natürlich einmal gelernt, wir sollten sie uns untertan machen. Aber dass das nicht richtig ist, klärt spätestens der 2020 erschienene Sammelband „Bibel falsch verstanden“ auf, erschienen beim Katholischen Bibelwerk. Namhafte katholische Theologen erläutern darin zahlreiche hartnäckig fortbestehende Mythen und fehlerhafte Übersetzungen der Bibel. Wir sollen die Erde nutzen mit Ackerbau und Viehzucht, aber sie nicht ausbeuten, sagt das Buch der Bücher. Dass sich die alten Fehlinterpretationen so hartnäckig halten, liegt daran, dass sie eine Grundlage unseres Wirtschaftens geworden sind: Raubbau an der Natur, Einsatz schädlicher Substanzen in der Landwirtschaft, Verschmutzung von Luft und Wasser und vieles mehr bedrohen unsere Lebensgrundlagen so sehr, dass wir nicht sicher sein können, ob der „point of no return“, die Schwelle zur Rettung des Klimas, nicht schon längst überschritten ist. Würden wir uns als Gäste auf der Erde verstehen, gingen wir nicht so mit ihr um. Die Indianer Nordamerikas bezeichneten sie schon immer als „Mutter Erde“, die sie gemeinsam mit „Vater Himmel“ als unsere stets zu achtenden Eltern ansehen.
„Des Himmels Sinn ist fördern, ohne zu schaden“, lautet die vorletzte Zeile im schon eingangs erwähnten Tao Te King. Wir Menschen missachten diesen Gedanken ständig. 92 Länder sind 2024 in gewaltvolle Konflikte verwickelt, zeigt der Global Peace Index der Denkfabrik Institute for Economics and Peace (IEP) – so viele, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Ursachen dafür sind im Detail natürlich unterschiedlich, aber geht es letztlich nicht immer um Macht und ihre Ausweitung? Putin will Russland wieder zu einem Großreich erweitern, Israels Premier Netanyahu hat den grausamen Überfall von Palästinensern als Anlass genutzt, mit Krieg seinen Kopf zu retten, denn sonst wäre er vermutlich längst entmachtet und wegen Korruption verurteilt und inhaftiert worden. Das sind nur die augenblicklich vorherrschenden kriegerischen Auseinandersetzungen. Die weltweiten Kosten der Auswirkungen von kriegerischer Gewalt beziffert der Global Peace Index mit unglaublichen 19,1 Billionen Dollar (knapp 17,8 Billionen Euro), das entspricht 13,5 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft. Für friedenserhaltende Maßnahmen gibt die Weltgemeinschaft dagegen nicht einmal 50 Milliarden Dollar aus. Wir schaden einander und der Erde massiv.
Aber über die große Politik zu lästern ist billig, vor der eigenen Haustüre zu kehren hingegen viel unbequemer. Tut jeder von uns selbst genug für den Umweltschutz? Eigentlich ist es Selbstschutz, die Luft nicht unnötig zu verpesten. Die Bilder vom Smog und deswegen Masken tragenden Menschen in asiatischen Metropolen zeigen, was auch bei uns droht. Und wie steht es um die Qualität des Miteinanders im Alltag? Wieviel Egoismus und Rücksichtslosigkeit, wie viele Vergehen gegen die Straßenverkehrsordnung kann man täglich beobachten? Wie viele Vergewaltigungen werden bei uns begangen, wie viele Partnerinnen totgeschlagen? Wie viel Straßenkriminalität gibt es und wie viele Sprengungen von Bankautomaten? Es scheint so, als ob immer mehr Menschen sich GEGEN andere durchsetzen wollten, dabei können wir doch nur im MITEINANDER überleben.
Immerhin, beim Discounter an der Kasse erlebe ich häufig Rücksichtnahme, werden ältere Menschen vorgelassen, hat die Kassiererin bei allem Stress immer noch ein freundliches Wort für jede Kundin und jeden Kunden parat. Ja, jetzt ist Advents- und Vorweihnachtszeit. Jetzt kann man bei Plätzchen und heißem Kaffee oder Tee gut über unsere Gastrolle auf Erden nachdenken und miteinander diskutieren. Und vielleicht kommt dabei noch die eine oder andere sinnvolle Idee heraus. Das wäre gut, denn niemand kann unsere Welt retten, wenn nicht ich selber etwas für sie tue.
© 25.11.2024 by Dipl.-Päd. Detlef Träbert
„Schubs“-Schulberatungsservice
Ampèrestr. 1 – 51145 Köln
Tel.: 0 22 03 / 9 28 48 35
Internet: www.schubs.info