Wird über künstlerische Schulfächer gesprochen, sind meist Bildende Kunst und Musik gemeint. An einigen Schulen ergänzt jedoch ein drittes Fach das künstlerische Spektrum: Theater bzw. Darstellendes Spiel. Hamburg nimmt hier eine Vorreiterrolle ein und hat Theater als Pflichtfach in Grundschulen sowie fünften und sechsten Klassen eingeführt. In Bremen gab es den ersten Leistungskurs im Fach Darstellendes Spiel. Doch worauf genau zielt der Theaterunterricht und welche Vorteile für die Schüler:innen bringt er mit sich?
Geschichte des Theaterunterrichts
Eingeführt wurde der Theaterunterricht in Deutschland erstmals auf Bestreben des Reformpädagogen Martin Luserke, der die Schule am Meer auf Juist gründete. Ganz im Sinne der Reformpädagogik strebte er dort – ebenso wie an vorherigen Einsatzorten, an denen er ab 1906 gewirkt hatte – eine Synthese aus intellektueller und lebenspraktischer Bildung an. Im Kontext dieses Projekts, das sich gegen die rein auf klassische Bildung orientierte Standardschulbildung richtete, fokussierte Luserke sich auf das Laienschauspiel. Dieses grenzte er klar vom professionellen Theater ab: Beim Laienspiel sollte weniger ein klares Ziel im Vordergrund stehen, als vielmehr der Prozess des Spiels selbst fokussiert werden. Hierin sah Luserke eine Bildungswirkung. An der Schule am Meer wurde in den Jahren 1930 und 1931 eine große Theaterhalle errichtet, die dem entsprechenden Unterricht diente – bis heute einmalig in Deutschland.
In die Regelschulen erhielt das Theater erst deutlich später Einzug. Erst in den 1980er-Jahren schufen die ersten Bundeländer die Möglichkeit, Theater bzw. Darstellendes Spiel als reguläres Unterrichtsfach zu belegen. Wie eingangs bereits erwähnt wurde, nahmen Hamburg und Bremen hierbei eine zentrale Rolle ein. Die Verbreitung des Theaterunterrichts hat seitdem zugenommen:
- Baden-Württemberg: Wahlfach Literatur und Theater in der Oberstufe
- Bayern: Profilfach Theater und Film in der Oberstufe
- Berlin: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel in Sek. I und II
- Brandenburg: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel in Sek. I und II
- Bremen: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel in der Oberstufe
- Hamburg: Pflichtfach Theater in Grundschule sowie Klasse 5 und 6; Wahlpflichtfach ab Klasse 7
- Hessen: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel in der Oberstufe
- Mecklenburg-Vorpommern: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel ab Klasse 7
- Niedersachsen: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel in Sek. I und II
- Nordrhein-Westfalen: Wahlpflichtfach Darstellen und Gestalten ab Klasse 6 an Gesamtschulen; Wahlpflichtfach Literatur in der Oberstufe
- Rheinland-Pfalz: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel in Sek. I und II
- Saarland: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel in der Oberstufe
- Sachsen: Wahlpflichtbereich Künstlerisches Profil in Klasse 8-10
- Sachsen-Anhalt: Wahlpflichtkurs Kultur und Künste in Sek. I
- Schleswig-Holstein: Wahlpflichtfach Darstellendes Spiel in Sek. I und II
- Thüringen: Wahlpflichtfach Darstellen und Gestalten in der Oberstufe
In allen sechzehn Bundesländern bestehen Angebote im Bereich des Theaters. In aller Regel handelt es sich dabei um Wahlpflichtangebote, die auf bestimmte Klassenstufen begrenzt sind.
Warum Theaterunterricht?
Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, inwiefern der Theaterunterricht für die Schüler:innen förderlich ist. Argumentiert wird von Pädagog:innen sowie anderen Theoretiker:innen in aller Regel damit, dass der Theaterunterricht aufgrund seiner stark interdisziplinären Ausrichtung in besonderem Maße nicht nur zur Reflexionskompetenz, sondern auch zum Aufbau einer umfassenden Allgemeinbildung beitrage. Hinzu kommt die Vereinigung von theoretischem und praktischem Unterricht: Die Schüler:innen lernen nicht nur, mit Literatur zu arbeiten, Texte zu verstehen, komplexe Problemlagen zu überblicken und künstlerische Praxistransfers zu leisten, sondern arbeiten auch mit ihrem eigenen Körper im Raum. Berührt sind damit unter anderem folgende wesentliche Lernbereiche:
- Textverständnis: Literarische Texte werden erschlossen, interpretiert, adaptiert oder selbst verfasst
- Historisch-gesellschaftliche Bildung: Komplexe, meist historisch-gesellschaftliche Problemlagen werden mit den Texten rezipiert und reflektiert
- Körpereinsatz: Der eigene Körper muss mit all seinem Potential bewusst einzusetzen gelernt werden
- Darstellungskompetenz: Der Transfer des geschriebenen Textes sowie abstrakter Ideen in die darstellerische Praxis steht im Vordergrund des Unterrichts
- Verhaltensflexibilität: Die Schüler:innen erproben im geschützten Raum des Theaters verschiedene Rollen und damit unterschiedliche Verhaltensmuster.
Neben reinem Wissenszuwachs zielt der Theaterunterricht damit zentral auf den Erwerb von Kompetenzen, die fach- und institutionenübergreifend eingesetzt werden können. Stärker als andere Unterrichtsfächer ermöglicht der Theaterunterricht durch die Übernahme diverser Rollen dabei auch das Erproben differenter Verhaltensmuster und -möglichkeiten. Nicht selten resultieren daraus neue Orientierungen für das Alltagsleben.
Probleme des Theaterunterrichts
Trotz all der positiven Aspekte und der zunehmenden Verbreitung führt der Theaterunterricht in Deutschland nach wie vor ein Schattendasein. Zurückzuführen ist das auch darauf, dass er – ähnlich wie der Sport-, Musik-, Kunst- und Naturwissenschaftsunterricht – eine enorme räumliche Ausstattung voraussetzt: Im Idealfalle steht der Schule eine Bühne zur Verfügung, die für den Unterricht genutzt werden kann. Hinzu kommt ein Bedarf an Requisiten, Probe- und Umkleideräumen. Doch das ist nicht das einzige Problem, vor dem der Theaterunterricht steht. Auch das Fehlen qualifizierten Personals stellt eine Hürde für die weitere Etablierung des Unterrichtsfachs dar. Als reguläres Lehramtsfach kann Darstellendes Spiel bzw. Theater derzeit ausschließlich in Hannover studiert werden. Darüber hinaus ist es in Berlin, Rostock, Koblenz-Landau und Erlangen-Nürnberg möglich, eine Zusatzqualifikation für das Lehramt im entsprechenden Fach zu erwerben.