Die Zahl der Jugendlichen, die unter einer Essstörung leiden, nimmt stetig zu. Laut der Analyse aktueller Krankenhausdaten[1] der DAK-Gesundheit wurden vergangenes Jahr deutlich mehr Kinder und Jugendliche wegen Essstörungen oder Depressionen in Kliniken behandelt als noch zu Beginn der Pandemie. Um 25 Prozent soll der Anteil von Jugendlichen mit Essstörungen im Jahr 2021 gestiegen sein. Bereits 2020 verzeichnete die DAK einen Anstieg.
In Deutschland leiden derzeit etwa fünf Millionen Menschen an einer Essstörung. Vermutlich gibt es weitaus mehr Betroffene. Wer unter einer Essstörung leidet, kann diese meist gut verstecken und sendet nur sehr unterschwellig Signale. Daher bleiben Essstörungen oft unentdeckt.
Zu den häufigsten Essstörungen zählen
- Magersucht (Anorexia nervosa),
- Bulimie (Bulimia nervosa, auch Ess-Brech-Sucht) sowie
- Binge-Eating (Essattacken).
Vor allem Mädchen und junge Frauen sind betroffen, wenngleich die Zahl von betroffenen Jungen und jungen Männern steigt. Das Alter der Betroffenen ist in den letzten Jahren gesunken, sodass inzwischen vermehrt Kinder zwischen 11 und 13 Jahren betroffen sind.
Wie kommt es zu einer Essstörung?
Die Essensaufnahme dient nicht nur der Sättigung, sondern sie ist von Geburt an mit starken Emotionen verbunden. Essen kann Gefühle von Gemeinschaft, Sicherheit, Geborgenheit und Zuwendung symbolisieren. Es kann Trost spendend sein oder kommt als Ersatzbefriedigung zum Einsatz bei Frust, Stress und Langeweile.
Auch wenn die Genetik eine Rolle bei der Entstehung von Essstörungen spielen kann, liegt die Ursache in sehr vielen Fällen bei tiefer gehenden seelischen Schmerzen und Problemen der Betroffenen. Diese gehen weit über ein Unwohlsein wegen des eigenen Körpergewichts hinaus.
Stabile soziale Beziehungen und ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstbild können vor psychischen Erkrankungen schützen. Gerade Jugendliche sind auf dem Weg zu jungen Erwachsenen mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Nicht selten lehnen sie in der Pubertät ihren eigenen Körper ab, vergleichen sich mit unrealistischen geltenden Schönheitsidealen und haben in einer sich rasant veränderten Welt den Wunsch nach Kontrollerleben. Das kann den Weg in eine Essstörung bereiten.
Woran können Lehrkräfte eine Essstörung erkennen?
Wer sich selbst zu dick oder zu dünn findet, leidet natürlich nicht direkt unter einer Essstörung. Dennoch gibt es Anzeichen, die auf eine Essstörung hinweisen können. Auf körperlicher Ebene können z. B. starker Gewichtsverlust, starke Gewichtszunahme oder Gewichtsschwankungen von mehr als sechs Kilogramm Körpergewicht innerhalb von drei Monaten Indizien sein. Personen mit Essstörungen sind häufig sehr leistungsstark, ehrgeizig und perfektionistisch und setzen sich selbst massiv unter Druck. In einigen Fällen verstärkt das Elternhaus diesen Leistungsdruck.
Wo bekommen Lehrkräfte Unterstützung, wenn sie bei einem Kind oder Jugendlichen eine Essstörung vermuten?
- Informations- und Beratungsangebote nutzen
Lehrerinnen und Lehrer können sich zum Beispiel direkt über die Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung[2] (BZgA) oder der Seite des Bundesgesundheitsministeriums[3] über das Thema Essstörungen informieren. Dort gibt es auch eine Hotline[4] für eine anonyme Beratung. Die BZgA stellt zudem Informationen und Übungen für die Gruppenarbeit, für Präventions-veranstaltungen und den Unterricht kostenfrei zur Verfügung.
- Beobachtungen mit Kollegen und Fachpersonal teilen
Bevor Lehrkräfte das Kind oder die Jugendliche persönlich ansprechen, sollten sie ihre Beobachtungen mit Kollegen oder Fachpersonal, z. B. der Schulsozialarbeit oder Beratungslehrkräften, teilen. Vielleicht ist der Fall bereits bekannt und die Kollegen haben ähnliche Beobachtungen gemacht. Gemeinsam kann die weitere Vorgehensweise besprochen werden.
- Die Beobachtungen benennen, ohne das Verhalten zu werten
Wenn Lehrkräfte die Jugendliche direkt ansprechen, sollten sie das Verhalten des/der Jugendlichen nicht werten und keine Ratschläge oder Tipps für ein gesünderes Essverhalten geben. Sätze wie „Iss doch mal mehr!“ oder „Das kann doch nicht so schwer sein“ zeigen die eigene Hilflosigkeit mit der Situation und können bei der betroffenen Person Gefühle von Scham und Unzulänglichkeit noch verstärken und das Krankheitsbild sogar verschlimmern.
- Gesprächsbereitschaft signalisieren und über Beratungsangebote informieren
Stattdessen können Lehrkräfte Gesprächsbereitschaft signalisieren und die beobachteten Veränderungen klar benennen. Sie können auf Beratungs- und Therapieangebote hinweisen und mit dem Kind bzw. dem/der Jugendlichen gemeinsam abstimmen, wie die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten informiert und in weitere Schritte einbezogen werden.
Bei dem Thema Beratung und Therapie sei darauf hingewiesen, dass es neben persönlichen Beratungen und Therapien vor Ort auch anonyme Telefonberatungen sowie Online-Beratungen via E-Mail oder Chat gibt. Diese Angebote sind besonders niedrigschwellig und stellen eine Alternative dar, weil Betroffene komplett anonym bleiben können.
Beratungs- und Informationsangebote:
- BZgA-Infotelefon zu Essstörungen: 0221 / 89 20 31, Montag-Donnerstag: 10:00–22:00 Uhr
- Informationen zum Thema Essstörungen:
BZgA: https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/ - Bundesgesundheitsministerium:
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/essstoerungen.html
[1] Wissenschaftler der Universität Bielefeld und der Vandage GmbH, einem Dienstleister für Beratung und Datenanalyse im Gesundheitswesen, untersuchten für den Kinder- und Jugendreport 2022 anonymisierte Abrechnungsdaten von etwa 800.000 Kindern und Jugendlichen im Alter bis 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Analysiert wurden die Jahre 2019 bis 2021.
[2] https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/, Stand 30.05.2022
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/essstoerungen.html, Stand 30.05.2022
[4] (Anonymes) BZgA-Infotelefon zu Essstörungen: 0221 / 89 20 31, Montag-Donnerstag: 10:00–22:00 Uhr