Auch wenn beispielsweise Eltern oder Psychologen massive Rechtschreibprobleme aufgrund von Dysorthographie entdecken können, wird in der Hauptsache der (Sprach-)Lehrer die Symptome dieser Teilleistungsschwäche entdecken – immerhin verbringen die Schüler viel Zeit in seinem Unterricht. Ob in Leseverstehenstest, Interpretationen oder Grammatikübungen, überall können sich massive Rechtschreibprobleme manifestieren. Um zu wissen, ob es sich dabei um Dysorthographie oder eine andere Problematik handelt, muss die Lehrperson allerdings typische Indikatoren kennen.
Probleme des dysorthographischen Schülers
Der dysorthographische Schüler sieht sich vor eine Reihe typischer Probleme gestellt, durch welche er bestimmte Fehler häufiger als andere macht.
Wie der Dyslexiker hat der dysorthographische Schüler in einem Unterricht, der für ihn zu schnell und zu wenig explizit erklärt ist, keine korrekte Sinn-Klang-Form-Einheit der Wörter entwickelt: Wie das Wort klingt, was es bedeutet und wie es aufgrund bestimmter Regeln aussehen muss, ist nicht korrekt abgespeichert. Zumeist übergeneralisiert er auf Grundlage basaler Rechtschreibprinzipien: Schreibt er beispielsweise „Er pflükt den Zweik“, so schreibt er das letztere Wort nach Gehör (phonologisches Prinzip), nicht aber nach dem Prinzip, das zwecks besserer Leserfreundlichkeit den Stamm des Wortes zu bewahren versucht (morphologisches Prinzip).
Da der dysorthographische Schüler eine Teilleistungsschwäche im sprachlichen Bereich hat, wird er allgemein Probleme damit haben, Buchstaben korrekt zu identifizieren und voneinander zu unterscheiden, und das sowohl im akustischen Bereich („Park“ mit langem oder kurzem Vokal?) wie auch im optischen (Vertauschung von „b“ und „d“). All diese Problematiken, ergänzt um das Problem, dass sogar das scheinbar unkomplizierte phonologische Prinzip mehrere verschiedene Schreibungen für ein und den selben Laut bereithält, führen dazu, dass der dysorthographische Schüler teils bis ins Erwachsenenalter massive Probleme in der Rechtschreibung haben wird.
Allgemeine Indikatoren für Dysorthographie
Bei den Indikatoren muss die Lehrperson große Vorsicht walten lassen. Hat ein Schüler beispielsweise ein unsauberes Schriftbild, kann dies auch auf Faulheit, Kaschieren von Fehlern oder motorische Probleme zurückzuführen sein. Die Lehrperson muss also immer auch andere Einflussfaktoren (z.B. fremdsprachlicher Hintergrund, Hirnschädigung, mangelhafte Beschulung) ausschließen.
Dennoch ist das unsaubere Schriftbild ein möglicher Indikator für Dysorthographie. Damit ist nicht nur eine kraklige und unsichere Handschrift gemeint, sondern auch das mehrmalige Übermalen von Buchstaben, das Nicht-Befolgen der Schreiblinie, Odd Spacing oder „zerdrückte“ Buchstaben am Rand, weil die Seitenbreite falsch eingeschätzt wurde. Auch zusätzliche Punkte und Striche auf dem Blatt, die keine offensichtliche Funktion haben, sind auffällig.
Aufschlussreich kann zudem das (Ab-)Schreibeverhalten eines Schülers sein: Schreibt er sehr langsam und unsicher, macht dabei vielleicht auch noch viele Fehler und beherrscht die Interpunktion nicht, sodass er sogar die Punkte am Satzende vergisst, sollte bei Vorliegen weiterer Indikatoren nachgehakt und ein Gespräch mit Eltern oder Schulpsychologen gesucht werden.
Charakteristische Rechtschreibfehler
Besonders Rechtschreibfehler sind für das Erkennen von Dysorthographie hilfreich, sollten aber mit Vorsicht behandelt werden: Auch der durchschnittliche Schüler kann unter Stress typische Indikatoren zeigen wie Probleme in der Wortdurchgliederung. Bei diesem Fehlerbereich werden Buchstaben durch andere ersetzt (Substitution), ausgelassen (Elision/Skelettschreibung), umgestellt (Metathese), hinzugefügt (Addition) oder mitten in einen anderen Buchstaben hineingeschrieben (Superposition).
So lässt sich beispielsweise die Schreibung „Teather“ so erklären, dass der Schüler noch wusste, dass das Wort ein „h“ enthält, aber nicht, an welcher Stelle – diesen Fehler können allerdings sowohl der dysorthographische wie auch der durchschnittliche Schüler machen. Wichtig ist daher, nicht nur unter Stress entstandene Texte aus Testsituationen, sondern auch sonstige Textproduktionen des Schülers wie Hausaufgaben oder Übungen in der Stunde zu berücksichtigen.
Zusätzlich können dysorthographische Schüler eine Fehlerinkonstanz aufweisen, also wenn sie ein und dasselbe Wort immer wieder anders schreiben. Auch Speicherfehler – Falschschreibungen bei häufig auftretenden Wörtern, die längst memorisiert sein müssten – kommen oft vor: Da wird die „Mutter“ schnell mal zur „Muter“. Klassisch sind außerdem Buchstabenverdrehungen durch Spieglung (b – d) und durch 180°-Drehung (u – n. W – M), aber auch Vertauschungen von Buchstaben bei minimalem Form- oder Lautunterschied: „k“ und „g“, „e“ und „a“, „eu“ und „oi“ sind für den dysorthographischen Schüler eine Hürde, die er oft schwerer als andere überwinden kann.
In der Hauptsache wird sich beim dysorthographischen Schüler eine Unkenntnis vieler Rechtschreibprinzipien zeigen und somit eine Prävalenz des phonologischen Prinzips („Schreib es, wie man es spricht“). Aus diesem Grund häufen sich oft Fehler in der Dehnung, also Dehnungs-h, Dehnungs-ie oder Doppelkonsonanten nach kurzem Vokal. Auch gegen andere Rechtschreibprinzipien wird er wahrscheinlich verstoßen, wie die Infobox belegt.
Verstöße gegen die Rechtschreibprinzipien
- Silbisches Prinzip: Silbeninitiales h (Markierung des Silbenübergangs z.B. in Gewei – h – e)
- Morphematisches Prinzip: e/ä, eu/äu, Auslautverhärtung (g/k, d/t, p/d), Vorsilben und Endsilben (z.B. bei Adjektiven), Kompositabildung (z.B. Zielinie statt Ziellinie), Deklination und Konjugation…
- Grammatisches Prinzip: Wechselnde Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung wegen Unfähigkeit zur Wortartenkategorisierung und -memorisierung.
- Grammatisches Prinzip: Inkorrekte Deklinations- und Konjugationsendungen.
- Ästhetisches Prinzip: sp/st -> schp/scht. qu -> kw.
Dysorthographische Schüler rechtzeitig erkennen
Die Liste der genannten Indikatoren mag riesig sein, aber ihre Kenntnis ist unerlässlich für eine effektive Förderung dieser Schüler: Je schneller ihre Problematik erkannt wird, desto schneller und besser kann ihnen geholfen werden. Steht in einem Diktat also „als op“, sollte der Lehrer erstens hellhörig werden und sich anschließend fragen, was die Fehlerquelle ist: Kein Verständnis der Auslautverhärtung – mangelhafte Betonung oder Akzent des Lehrers – oder ein Schüler mit Muttersprache Luxemburgisch? Ob ein Lehrer auf diese Indikatoren achtet und die zugrundeliegende Problematik, wird schlussendlich einen massiven Einfluss auf den Schul- und Lebensweg nicht nur des dysorthographischen, sondern aller Schüler haben.