
Angesichts des Lehrer:innenmangels, aber auch im Zuge einer generellen Neuausrichtung von Schule stehen die künstlerisch-musischen Fächer unter Druck: Reduzierungen in den Stundentafeln und die Einordnung hinter vermeintlich wichtigeren Fächern wie Informatik oder Wirtschaft, die massiv ausgebaut werden, deuten die Probleme an. Wieso also festhalten am Kunstunterricht?
Ziele des Kunstunterrichts
Wesentlich für die Begründung des Kunstunterrichts sind seine spezifischen Zielsetzungen: Anders als vielfach angenommen besteht das Ziel nicht in reiner Beschäftigung der Schüler:innen oder im Schaffen eines Ausgleichs zu vermeintlich anstrengenderen Unterrichtsstunden. Die Ziele des Kunstunterrichts lassen sich vielmehr wie folgt fassen:
- Schulung der Wahrnehmung
- Schulung des (gestalterischen) Ausdrucks
- Schulung der Reflexionskompetenz
Die eigene künstlerische Tätigkeit im Rahmen des Kunstunterrichts versteht sich dabei als Mittel zum Zweck, nicht jedoch als zweckungebundene Beschäftigung. Gelungener Kunstunterricht zeichnet sich vor dem Hintergrund der beschriebenen Zielsetzung folglich dadurch aus, zum Erreichen der genannten Ziele beizutragen.
Wahrnehmung, (gestalterischer) Ausdruck und Reflexion
Dass die Ziele selbst als wertvoll zu betrachten sind, erscheint dabei einsichtig: Ohne ausgebildete Wahrnehmungsfähigkeit ist die Teilhabe an Gesellschaft schlechterdings nicht möglich. Selbst aus basalster privater Ebene sind wir darauf angewiesen, wahrnehmen und einordnen zu können. Je elaborierter unsere diesbezüglichen Fähigkeiten ausfallen, desto mehr Betätigungsfelder erschließen wir uns. Ähnliches gilt unterdessen für die Ausdrucksfähigkeit: Nicht nur in gesprochener und geschriebener Sprache, sondern auch auf diverse andere Weisen drücken wir unsere Intentionen, Empfindungen und Bedürfnisse beständig aus. Nur, wer hierzu in der Lage ist, kann seinen Alltag eigenständig bestreiten. Mit erweiterter Ausdrucksfähigkeit steigen ferner wiederum die Betätigungsmöglichkeiten in der Welt.
Die Reflexionskompetenz lässt sich dabei als mit allen anderen Kompetenzen in beständiger Wechselwirkung stehend verstehen: Es benötigt einen Inhalt, der reflektiert werden kann, und es benötigt Reflexion, um diesen Inhalt zu verändern, einzuordnen, zu besprechen. Wahrnehmung, Ausdruck und Reflexion sind damit beständig aufeinander bezogen und lassen sich kaum in isolierter Form greifen. Letztlich trägt der Kunstunterricht damit dazu bei, die Schüler:innen zu differenziert-reflektiertem Handeln zu befähigen.
Ziele und Methoden teilt er sich dabei mit anderen Schulfächern, die teilweise ähnliche, vielfach aber auch ganz andere Wege beschreiten. So findet eine Schulung der Wahrnehmung etwa auch im Geometrieunterricht statt, am Ausdruck wird auch im Deutsch- oder Englischunterricht gearbeitet und auf die Ausbildung von Reflexionskompetenz zielen zentral alle historisch-kulturwissenschaftlich orientierten Schulfächer. Das Alleinstellungsmerkmal des Kunstunterrichts gegenüber den anderen Fächern der letztgenannten Gruppe besteht dabei in der klaren visuellen Orientierung, die als Weg zu allen drei Kompetenzzielen verstanden wird. Clemens Höxter sieht in dieser visuellen Orientierung einen weiteren Grund für die anhaltende Bedeutung des Kunstunterrichts: Unsere heutige Welt ist eine solche, die vor allem mit Bildern arbeitet und über ebendiese funktioniert. Bildwahrnehmung, Bildreflexion und visueller Ausdruck sind damit hinsichtlich der individuellen Handlungsmöglichkeiten wichtiger als je zuvor.