Prüfungen sind nicht nur für Dyslexiker und Dysorthographiker, sondern für alle Schüler ein großer Stressfaktor – an diesen Testungen hängen Anerkennung oder Enttäuschung von Lehrern und Eltern, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitserwartung, die ganze berufliche Zukunft. Dabei gibt es für die Lehrer durchaus Stellschrauben, um den Stress zu minimieren und auch den Dyslexikern und Dysorthographikern einen Zugang zu den verlangten Aufgaben zu ermöglichen…
Ziel von Prüfungen – und wozu sie nicht gedacht sind
Prüfungen dienen – neben der gesellschaftlichen Selektion – einer möglichst objektiven Lernstandserhebung: Der Lehrer überprüft, was der Schüler in seinem und dem vorangehenden Unterricht gelernt hat.
Auf keinen Fall aber sollte dieses positive Ziel mit negativen verknüpft werden. Prüfungen dürfen kein Mittel sein, um die Schüler zu disziplinieren: „Wenn ihr nicht gleich ruhig seid, schreibe ich einen Test“. Damit wird die Prüfung zur Strafe und zeigt nicht mehr, was der Schüler können könnte, weil ihm durch den unangekündigten Test das Lernen verweigert wurde. Prüfungen sollten immer angekündigt sein: So kann der Schüler sich möglichst entspannt und organisiert darauf vorbereiten.
Klare Kommunikation im Vorfeld
Jeder Stoff kann auf unterschiedliche Weise gelernt und abgefragt werden – deswegen muss der Schüler genau erklärt bekommen, WAS und WIE in der Prüfung gefragt wird und WO er die entsprechenden Lerninhalte finden kann. Wird eine Übungsarbeit geschrieben, sollte die Prüfung genau wie diese aufgebaut sein – allgemein sollte sie den Übungsaufgaben im Unterricht entsprechen. So weiß der nunmehr weniger gestresste Schüler genau, wie und wozu er sich vorbereiten muss.
Angepasstes Layout
Wichtig für Dyslexiker und Dysorthographiker, aber auch für andere Schüler hilfreich ist die Anpassung des Layouts zwecks Leserlichkeit: Schriftart ARIAL, Schriftgröße 14, Zeilenabstand 1,5. Aufgaben sollten durch eine deutliche Lücke oder Abgrenzung voneinander getrennt sein. Visuelle Hilfen wie Bilder, Farben etc. helfen, die Aufgaben besser zu verstehen.
Aufgabenstellung
Die Aufgaben sollten dabei in möglichst kurzen Sätzen in klarer Sprache verfasst und am besten in Teilaufgaben untergliedert sein. So kann der Schüler abhaken, welche Teilaufgabe er bereits erledigt hat. Bevor mit der Prüfung begonnen wird, sollten die Aufgaben einmal gemeinsam durchgelesen und besprochen werden – treten bei verschiedenen Formulierungen Verständnisschwierigkeiten oder sogar Fehldeutungen auf, kann dies sofort rektifiziert werden. Sinnvoll wäre es, die Schüler selbst erklären zu lassen, wie sie die Aufgabenstellung verstehen, damit überprüft werden kann, inwiefern ein Verständnis gegeben ist.
Qualität vor Zeitdruck
Sollen Prüfungen den Lernstand abprüfen oder die Stresstoleranz testen? Gute Arbeit braucht Zeit – deshalb sollte genügend davon für die Prüfung eingeplant werden. Fühlt sich einer besonders gestresst, weil er die benötigte Zeit für jede Aufgabe nicht einschätzen kann, kann man ihm Zeitangaben daneben schreiben – meine 11. Klasse hat noch nie so entspannt eine Textinterpretation geschrieben.
Hilfestellung während der Testphase
Allgemein sollte der Lehrer während der gesamten Testphase Unterstützung bieten, immer dort, wo es ihm erlaubt ist und dem Ziel der Lernstandserhebung nicht entgegenwirkt. Schreibt der Schüler völlig falsche Antworten, hat er vielleicht den Arbeitsauftrag falsch verstanden – ruhig einmal darauf hinweisen und dazu auffordern, den Auftrag noch einmal zu lesen.
Hat er große Angst vor der Prüfung, kann man ihm getrost bei einer richtig bearbeiteten Aufgabe sofort die volle Punktzahl hinschreiben – das reduziert die Angst und motiviert. Schweift der Schüler ab – was bei Dyslexikern und Dysorthographikern bei Texten oft vorkommt – kann man gerne zu ihm gehen und ihn noch einmal fokussieren.
Will der Schüler abgeben, kann man ihn noch einmal fragen, ob er alles kontrolliert hat – wenn nicht, sollte man ihm eine konkrete Handlungsanleitung geben wie „Korrigiere deine Sätze von hinten nach vorne, dann sieht man die Rechtschreibfehler besser“, „Achte noch einmal auf die Groß- und Kleinschreibung“ oder „Hast du auch wirklich drei Charakterzüge der Figur herausgearbeitet?“
Lernstand erheben: Nur mit Unterstützung
Prüfungen sind wichtig – umso wichtiger ist deshalb die Unterstützung des Lehrers, damit der Schüler seinen tatsächlichen Lernstand beweisen und dementsprechend benotet werden kann. Dyslexiker und Dysorthographiker sind in ihrer Teilleistungsschwäche mehr als genug benachteiligt – ein kleiner Tipp, dass der Schüler auch mal an anderen Stellen des Textes nach der Lösung suchen soll, ist da nicht mehr als ein Nachteilsausgleich…
Neben ihrer Funktion als Mittel zur Lernstandserhebung ist die Prüfung allerdings auch noch ein Tool, um sich durch Auseinandersetzung mit den gemachten Fehlern weiter zu verbessern – wie dies durch eine pädagogisch sinnvolle Korrektur durch Lehrer und Schüler gelingen kann, wird im nächsten Artikel dieser Reihe gezeigt werden.